Im Norden Mexikos gehört die Arbeitsmigration in die USA schon lange zur Kultur. Wie der Journalist und Schriftsteller Fernando Benítez in den 1950ern schrieb: »Sie verpfänden ihre Kuh, ihr Land und alles was sie haben. Wenn sie zurückkommen, kaufen sie sich ein Pferd, eine Uhr und eine Pistole und den Rest versaufen sie. Nach einem halben Jahr verkaufen sie erst das Pferd, dann die Pistole und schließlich die Uhr. Sie gehen aus dem Hochland fort und träumen schon wieder davon, zurückzukommen. Es ist wie ein Rausch und eine Geschichte ohne Ende.«
So romantisch ist es nicht mehr und war es wohl auch nie. Doch in vielen Dörfern Nordmexikos ist seit den fünfziger Jahren eine regelrechte Auswandererkultur entstanden. In den Gassen sieht man überall trocas mit Kennzeichen von Texas oder Arizona; viele der ehemaligen Einwohner leben mit einer regulären Aufenthaltserlaubnis im Norden und haben sich dort mit Kleinunternehmen selbstständig gemacht. Von dort schicken sie regelmäßig Geld nach Hause, die remesas, mit denen sie Eltern, Frauen und Kinder unterstützen, die Fiesta des Dorfpatrons finanzieren und ihrer Gemeinde unter die Arme greifen.
Der Süden Mexikos wurde erst in den vergangenen Jahrzehnten von der Migration erfasst — genauer, seit 1994 das nordamerikanische Handelsbündnis NAFTA in Kraft trat. Seither wird Mexiko mit subventionierten landwirtschaftlichen Produkten aus den USA überschwemmt, wurde seinerseits zur Abschaffung von Subventionen und Preiskontrollen gezwungen, und die Bauern — schon immer am Existenzminimum — konnten nun gar nicht mehr von ihren Erzeugnissen leben. Auch viele Malinalca sind seither »nach drüben« gegangen. Nur dass sie keine Aufenthaltserlaubnis haben, weil die letzte »Legalisierung« in den achtziger Jahren unter Ronald Reagan erfolgte. Deshalb gehen sie mit Schleusern über die Grenze, arbeiten ohne Rechte und Sozialleistungen zu miserablen Löhnen in Restaurants oder auf dem Bau, leben unter mehr als prekären Verhältnissen und müssen dauernd damit rechnen, erwischt und deportiert zu werden. Eine überraschend große Zahl von Malinalca kommen in den USA oder auf dem Weg dorthin ums Leben.
Im Herbst 2017 erschien in der LA Times eine ausgezeichnete Artikelserie von Kate Linthicum, die Migranten aus Malinalco vorstellt. Lesen Sie →hier den ersten Teil, die weiteren sind im Artikel verlinkt.
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