Erste Eindrücke

Die Felsen, die das Tal umarmen, gehören zu den ältesten Auswürfen des Vulkanbogens in unserem Rücken… Von den gewaltigen Kratern ist heute nichts mehr zu sehen, längst wurden sie vom Wind verblasen, vom Regen zurück ins Meer gespült, von neuen Kratern überflutet. Zurück geblieben sind nur diese roten Finger, die weit hinaus in die entgegenkommende Flut der pazifischen Berge reichen.

[Dazu einige Zeilen, die dem Rotstift zum Opfer gefallen sind.]

Wenn man hoch am Himmel über Mexiko eine Kamera aufhängen und die Felsen im Zeitraffer filmen könnte, dann würde man erkennen, dass sie in Wirklichkeit gar nicht fest, sondern ständig in Bewegung sind und Wellen schlagen wie das Meer. Es müsste allerdings ein extremer Zeitraffer sein – einer, der alle Tausend Jahre ein einziges Foto aufnimmt. Wenn man das mit einem heutigen Kinoprojektor abspielen würde, dann entspräche eine Sekunde im Film 24.000 Jahren Wirklichkeit, und ein Kinofilm von 90 Minuten Dauer würde 130 Millionen Jahre Erdgeschichte zeigen.

Wenn Außerirdische vor 65 Millionen Jahren eine solche Kamera aufgehängt hätten, dann könnten sie zusehen, wie zu Beginn des Films die ersten Inseln zwischen Nord- und Südamerika aus dem Meer gedrückt werden und das Wasser vom Rücken des Landes perlt. Das Land ist von der ersten Minute an grün, doch die Oberfläche ist ständig in Bewegung: Während das Gestein weiter aus dem Wasser steigt, werfen sich auf der Oberfläche Berge auf und andere sinken von Wind und Regen abgetragen zurück. Es sieht aus wie ein graugrüner See, dessen Oberfläche vom Wind gekräuselt wird. Oder wie ein mexikanisches Fettgebäck namens Buñuelo, wenn der Teig ins kochende Öl gegeben wird, an die Oberfläche steigt und dort Blasen wirft, die eine nach der anderen zerplatzen. Nach einer guten halben Stunde des Films würde sich quer über die Mitte des Buñuelo ein Gürtel von größeren Blasen aufblähen, und auf diesen Blasen entstehen wieder kleinere Blasen, die einsacken oder aufreißen und von unten flüssigen Teig heraufspucken.

Wenn die Außerirdischen ihren Film noch 65 Millionen Jahre lang weiterdrehen würden, dann würden sie vielleicht sehen, wie sich der ganze Buñuelo weiter aufbläht und brodelt, bis er irgendwann in sich zusammensackt und mit einem letzten Pfeifen auf den Boden des Topfs zurücksinkt. Zum Schluss ragen nur noch ein paar spröde, glasharte Krusten aus dem Wasser.

Ende und Abspann.

In unserer menschlichen Zeitdimension bemerken wir nichts von diesem turbulenten Auf und Ab. Hin und wieder spüren wir einen leisen Ruck, weil sich der Buñuelo unter unseren Füßen ein paar Millimeter anhebt. Dann laufen wir panisch durcheinander wie Ameisen, die Nachwuchs und Vorräte in Sicherheit bringen, wenn ein unsichtbarer Riese durch ihr Nest trampelt. Wobei dieser Vergleich den Ameisen nicht gerecht wird: Die würden nämlich während der gesamten 90 Minuten des Films ihre eigenen Berge aufwerfen, während wir Menschen bestenfalls als Schmierstreifen zu erkennen wären.

Wenn man den Film Bild für Bild durchginge, dann könnte man mit etwas Glück auf der 64.988sten Aufnahme den Rauch eines Lagerfeuers sehen, über dem eine einsame Familie ein Tapir grillt. Auf den nächsten sechs Bildern wäre wieder nichts mehr zu sehen, dann eine Hütte mit einem Maisfeld, auf dem übernächsten ein paar Hütten rund um ein paar Pyramiden, dann ein blauschwarz glitzerndes Geröllfeld, dann Millionen von Autos und Häusern und mittendrin zwei winkende Gestalten in einem himmelblauen Chevy, dann ein betongraues Geröllfeld, dann wieder 65.000 Bilder lang sattes, wogendes Grün. Zwölf Bilder, eine halbe Sekunde, die mitten im titanischen Tanz der Berge gar nicht auffallen.