Malinalco ist eine bedrohte Kultur und eine Kultur im Widerstand — wie eigentlich alle ländlichen und indigenen Kulturen Mexikos. Auch darum geht es in meinem Buch In Mexiko.
Der Kampf der Malinalca um ihre Kultur beginnt schon mit der Ankunft der Spanier vor fünfhundert Jahren. Die europäischen Eroberer nahmen den Ureinwohnern ihr fruchtbarstes Land weg, zwangen sie zu Fronarbeit in Bergwerken, auf Feldern und in Zuckerraffinerien, legten ihre durch Krankheiten dezimierten Dörfern zusammen und raubten noch mehr Land. Doch während der gesamten Kolonialzeit wehrte sich die Landbevölkerung immer wieder gegen ihre kirchlichen und weltlichen Ausbeuter. In meinem Buch schildere ich einige Fälle, in denen die Malinalca vor Gericht zogen, wenn sich die Großgrundbesitzer an ihrem Land vergriffen, und wie sie sich bewaffneten, wenn das nichts nützte.
Ironischerweise verschlechterte sich die Situation der Landbevölkerung mit der Unabhängigkeit noch einmal dramatisch. Die indigenen Dörfer, die zuvor unter dem Schutz der Krone gestanden hatten, verloren ihren Gemeinbesitz. Im Namen der Modernisierung wurde den Bauern immer mehr Land weggenommen und den großen Haciendas zugeschlagen, die im industriellen Stil Zuckerrohr oder Sisal anbauten. In Malinalco war dies die →Hacienda von Jalmolonga, die auf dem Höhepunkt 200 Quadratkilometer Land beanspruchte.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Situation unerträglich, im ganzen Land erhoben sich die Bauern gegen die Haciendas. Einer der bedeutendsten Aufstände nahm seinen Anfang 1910 im Bundesstaat Morelos, wo ein Mann namens Emiliano Zapata die Bauern gegen die Großgrundbesitzer führte.

Als die Malinalca von Zapatas Aufstand hörten, gingen viele über die Berge nach Morelos, um sich ihm anzuschließen. Die übrigen Malinalca verhehlten ihre Sympathien nicht. Daher wurde das Dorf immer wieder von Regierungstruppen verwüstet, und die Frauen und Kinder mussten sich in den Felsen und Höhlen über dem Dorf verstecken. Eine Zeitlang war Malinalco sogar ein wichtiger Stützpunkt der Zapatistas, General Genovevo de la O hatte hier sein Hauptquartier. (Als kleine Fußnote zu meinem Buch: In Malinalco hält sich zwar hartnäckig der Mythos, dass General Zapata selbst auf dem Dorfplatz saß und im Schatten der alten Bäume seine Zigarren rauchte, aber das war vermutlich De la O.)

Und heute?
Mit Gründung der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA vor knapp 25 Jahren trat die falsch verstandene Modernisierung ländlicher Regionen und die damit einhergehende Zerstörung indigener Kulturen in eine neue Phase. Mit der Abschaffung von Subventionen und Preisgarantien für die mexikanischen Bauern verschlechterte sich die Situation der Landbevölkerung immer weiter. Als Kleinbauer wurde man nie reich, aber heute kann man mit einem Acker und ein paar Hühnern nicht einmal mehr überleben. In Malinalco ist die Situation nicht anders als im Rest des Landes: Viele Malinalca gehen in die Städte oder in die USA und schicken Geld nach Hause, die Malinalca leben heute zu einem guten Teil von den Überweisungen aus dem Ausland. Aber noch immer gibt es Widerstand — auch wenn Widerstand (anders als in Chiapas) nicht unbedingt Aufstand bedeuten muss.
Auch eine Lebensform kann eine Form von Widerstand sein. Die →dörflichen Bräuche, die in der Stadt gern als Relikte längst vergangener Tage abgetan werden, sind keine bunte Folklore für Touristen. Sie schaffen vielmehr eine Gemeinschaft, die sich gegen den Individualismus, Rationalismus und Materialismus unserer Zeit verwehrt und unserer atomisierten und entzauberten Gesellschaft indigene Werte wie Solidarität und Spiritualität entgegensetzt. Die Landbewohner wissen sich allerdings auch aktiver zur Wehr zu setzen. Die Malinalca jedenfalls habe ich als im besten Sinne widerständige und eigensinnige Menschen kennengelernt, die wissen, was gut und richtig für sie ist, und die auf ihre Weise dafür eintreten. Ich habe sie als Menschen kennengelernt, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nach ihrer Façon leben. Und als Menschen, die eines verstanden haben: Glück ist nicht, wenn man das hat, was man will, sondern wenn man das will, was man hat.
Mehr zu Zapata und dem Widerstand der Landbevölkerung findet Ihr in meinem Buch In Mexiko:
Jürgen Neubauer
In Mexiko
Reise in ein magisches Land
Taschenbuch, 336 Seiten: 15,- Euro
E-Book: 9,99 Euro
Vom Leben in der Riesenmetropole Mexiko-Stadt geschafft, ziehen der Erzähler und seine Frau aufs Land — in ein Dorf zwischen den Vulkanen des mexikanischen Hochlands. Dort tauchen sie in ein unbekanntes und faszinierendes Mexiko ein: Sie begegnen Schamanen, Scharlatanen, Heilern und Wettermachern und bekommen es mit Drogenhändlern, Wahlbetrügern, arroganten Städtern und Großgrundbesitzern zu tun. Die Reise gipfelt in einer wilden Fiesta, bei der Magie und Moderne, Traum und Wirklichkeit, Arm und Reich aufeinanderprallen.
Ein literarischer Reisebericht, der in die Tiefe Mexikos entführt, und ein unterhaltsames Porträt des Landes und seiner Menschen.
Erhältlich in jedem Buchladen. Im Internet unter anderem hier: