Über Märkte schreiben

Pablo Neruda meinte, dass auf den Märkten die Seele Mexikos zu finden sei. Doch der chilenische Dichter, der zu Beginn der vierziger Jahre drei Jahre lang als Botschafter seines Landes in Mexiko lebte, unternahm wohlweislich keinen Versuch, sie zu beschreiben. Das ist eine Aufgabe, an der sich ausländische Besucher seit fünf Jahrhunderten die Zähne ausbeißen.

Schon der spanische Eroberer Hernán Cortés war überwältigt, als ihn sein Gastgeber Moctezuma zu einem Besuch auf den Markt von Tlatelolco mitnahm. Der Markt sei doppelt so groß wie ganz Salamanca, schrieb Cortés in einem seiner fünf berühmten Briefe an König Karl und mühte sich an­schließend redlich, seiner Majestät einen Eindruck von all den Schmuckstücken, Baumaterialien, Wildtieren, Kräu­tern, Möbeln, Früchten, Gemüsen, Fertiggerichten, Süßig­keiten, Kleidern und Haushaltsutensilien zu vermitteln, die er dort gesehen hatte. Aber die Worte reichten nicht aus, um die Vielfalt zu bändigen, weshalb Cortés nach einigen Seiten der Beschreibung schließlich abbrach und schulterzuckend festhielt: „Kurz, man verkauft auf diesen Märkten alles, was sich irgend auf der ganzen Erde findet.“

Markt_in_Malinalco
Typische Früchte aus Malinalco: Tomatillos, Habaneros, Pflaumen, Limas, Xoconostle, Guajes, Avokados

Die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im Juni 1941 nach Mexiko kam (mehr hier), versuchte es erst gar nicht: „Wenn ich nur all die Märkte mit all den Farben, all den Stoffen, all den Menschen zeigen könnte, dann wäre es leichter für mich“, schrieb sie in einem Brief.

Auch der Hirnchirurg Oliver Sacks, der sich in Mexiko auf die Suche nach exotischen Farnen begab, streckte den Füller: „Der Markt ist so üppig und bunt, dass ich widerstrebend mein Notizbuch zuklappe. Es wäre mehr Talent und Energie nötig, als ich mitbringe, um diesen verrückten Szenen gerecht zu werden.“

Ob ich diese Seele in meinem Buch eingefangen habe? Wohl kaum. Ich hatte so viel mit den Taschen zu tun…

marktfrauen
Wie zu Zeiten von Moctezuma wird an vielen Ständen noch „nach Maß und Zahl verkauft“, wie Cortés an Karl V. schrieb. Gelbe Pflaumen, Guaven, Maracuyas, Limas, Zapotes, Chirimoyas…

Sie möchten lesen, was diese Autoren außerdem noch über Mexiko zu sagen hatten?

Pablo Neruda, Ich bekenne, ich habe gelebt: Memoiren. Sammlung Luchterhand.
Hernán Cortés, Die Eroberung Mexikos: Drei Berichte von Hernán Cortés an Kaiser Karl V. Insel.
Anna Seghers, Der Ausflug der toten Mädchen und andere Erzählungen. Aufbau.
_____. »Crisanta. Mexikanische Novelle«. In: Post ins Gelobte Land. Erzählungen. Aufbau.
_____. Das wirkliche Blau. Eine Geschichte aus Mexiko. Aufbau.
Oliver Sacks, Die feine New Yorker Farngesellschaft: Ein Ausflug nach Mexiko. Frederking & Thaler.

 

4 Kommentare

  1. jaegerdesverlorenenschmatzes sagt:

    Und trotzdem möchte man den Versuch unternehmen, den zuhause Gebliebenen die Fülle und Vielfalt der mexikanischen Märkte zu beschreiben, wenn man sie schon nicht einpacken und mitnehmen kann auf die andere Seite des Atlantiks…. Wobei: Einige Päckchen Schokolade aus Oaxaca habe ich natürlich gekauft – und ein paar Chapulines in den Koffer geschmuggelt.

    1. jneubau sagt:

      Und als Mensch des Wortes will man sich auch nicht den Bildern überlassen — Bildern, die vorgeben, alles zu zeigen, und die doch gar nichts sagen!

  2. Selbst hier in Chiapas, wo die Vielfalt doch um einiges eingeschränkter ist, kann ich mich dem Zauber der Märkte nicht entziehen. Sehr treffende Beschreibung!

    1. jneubau sagt:

      Wobei das ja noch gar nicht die Beschreibung ist — an der habe ich mich in meinem Büchlein versucht. Herzliche Grüße ins magische San Cristobal!

Kommentare sind geschlossen.