Wasser ist in Mexiko ein großes Problem. Während der Trockenzeit von November bis Mai regnet es sieben Monate lang kaum, aber selbst wenn es regnet, muss dieses Wasser auch ins Haus kommen. Das ist einfacher als es klingt! (Ein Kapitelchen, das es nicht ins Buch geschafft hat, aber einen kleinen Einblick in das Abenteuer Alltag in Mexiko zulässt.)
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Du kannst Mexiko doch nicht die Schuld für eine Bananenschale geben.
D.H. Lawrence
Als ich den Duschhahn aufdrehe, höre ich nur ein trockenes Gurgeln. Ich gehe nach unten und versuche mein Glück im Gästebad: dasselbe Geräusch. Auch in der Küche kein Tropfen.
Unsere Vermieterin Sol hat uns gewarnt, dass es in Malinalco nur an zwei Tagen in der Woche Wasser gibt, und dann auch nur ein oder zwei Stunden. Deshalb hat jedes Haus seine eigene Zisterne. Unsere befindet sich unter den Wunderblumen hinter der Mauer zur Straße. Ich gehe in den Hof und klappe den Deckel auf. Leer.
An welchen zwei Tagen kommt das Wasser nochmal? Was hat Sol gesagt? Ich habe keine Ahnung, aber ich will ihr auch nicht auf die Nerven gehen. Also beschließe ich, unseren Nachbarn zu fragen – bei der Gelegenheit kann ich mich ja gleich vorstellen.
Der Nachbar von schräg gegenüber ist Taxifahrer. Nach Einbruch der Dunkelheit sitzt er oft mit seinen Kumpels vor der Tür, trinkt Bier und hört Norteños. Seine Kollegen parken ihre Taxis dann so dicht vor unserem Hoftor, dass wir über ihre Kühlerhauben klettern müssen. Nachdem ich den Strang der Glocke gezogen habe, dauert es eine ganze Weile, dann fällt drin etwas um und jemand flucht. Ist wohl wieder spät geworden gestern Abend. Kurz darauf steht der Nachbar im Unterhemd in der Tür und sieht mich misstrauisch aus verquollenen Augen an.
Ja, mucho gusto. Das Wasser kommt nur dienstags und samstags. Vormittags. Genau, jetzt. Ach, ihr habt kein Wasser? Komisch. Dann müsst ihr euch einen Tankwagen kommen lassen, der macht euch die Zisterne wieder voll. Welcher Tankwagen? Keine Ahnung. Gern geschehen, a sus ordenes, stets zu Diensten. Genau, mucho gusto. Und wenn ihr was braucht… Mit diesem Halbsatz wendet er sich um verschwindet wieder im Haus.
Also doch Sol.
„Ach, ihr habt kein Wasser? Komisch. Hast du mal in die Zisterne geschaut? Leer? Vielleicht ist ja die Leitung kaputt. Ich schicke euch erstmal einen Tankwagen vorbei, chicos.“
Ich lege mich in die Hängematte. Zwei Stunden später hämmert jemand gegen das Hoftor. Der Tankwagen. Das war erstaunlich schnell – ich habe schon überlegt, wie wir eine Woche lang ohne Wasser auskommen.
Während der Fahrer die Zisterne füllt, sieht er sich im Hof und draußen um. Dann zeigt er mir ein dunkles Rinnsal, das zwischen den Pflastersteinen austritt und die Gasse hinunterläuft.
„Euer Wasser.“
Ich rufe Sol an. Sol ruft bei der Gemeinde an. Wenig später ruft sie zurück. Am Samstag kommen die Arbeiter und reparieren die Leitung.
Am Samstag kommen die Arbeiter natürlich nicht, und statt in unsere Zisterne zu laufen, versickert das wertvolle Wasser wieder zwischen dem Pflaster. Auch am Montag kommt niemand, und am Dienstag bleibt das Wasser wieder aus. Der Stand in der Zisterne ist schon erkennbar gesunken. Wie viel Wasser haben wir denn in den paar Tagen verbraucht? Fünfhundert Liter? Tausend? Wie viel Wasser verbraucht ein Mensch pro Tag? Ist die Zisterne auch undicht, oder verduschen wir tatsächlich so viel?
Als wir am Mittwochmorgen das Haus verlassen, um zum Markt zu gehen, sitzt ein dürrer Alter in weiten Hosen und einer viel zu großen Jacke vor unserem Tor und kratzt mit einem Schraubenzieher zwischen den Pflastersteinen herum. Als wir mit unseren vollen Einkaufstaschen zurückkommen, sitzt er immer noch da und schabt.
„Sie reparieren die Leitung?“ frage ich ihn.
Er zeigt auf einen schwarzen Gartenschlauch, der zwei Zentimeter unter dem Zement zwischen den Pflastersteinen hervorlugt.
„Waschamascha Riss waschamascha“, nuschelt er zwischen seinen Zahnlücken hervor.
„Was meinen Sie, wie lange das dauert?“
Er zuckt die Schultern. „Waschamascha heiß“, stellt er dann fest und wischt sich einen unsichtbaren Schweißtropfen von der Stirn. „Haben Sie nicht ein paar Pesos für ein refresquito?“ sagt er dann plötzlich so deutlich, das ich fast erschrecke.
Ich runzele die Stirn. Ich glaube nicht, dass er sich sein Getränklein schon verdient hat. Aber Lulú zieht sofort eine Münze aus der Tasche und drückt sie dem Alten in die Hand. „Haben Sie Tausend Dank! Wir sind ja so froh, dass Sie gekommen sind“, seufzt sie und setzt ein bedauernswertes Gesicht auf, dass ich meine, sie wird gleich zu schluchzen anfangen. „Wir haben seit Tagen kein Wasser mehr, wir wissen einfach nicht, was wir noch machen sollen. Bitte, sehen Sie doch, was Sie tun können. Und wenn Sie irgendetwas brauchen, dann klopfen Sie doch bitte.“
Der Alte nickt und fügt erklärend hinzu: „Waschamaschamaschawascha.“
Nachdem wir unsere Einkäufe verstaut haben, sehe ich nochmal draußen nach. Der Alte ist verschwunden.
Als wir am Samstag nach dem Frühstück zu einem Spaziergang aus dem Haus gehen, schabt er wieder, während ein adrett gescheitelter Junge im Overall daneben steht und ihm zuschaut.
„Sieht aus, als wäre es nur dieses Stück hier, wo die Autos drüberfahren“, erklärt mir der Junge mit perfekt gespieltem fachmännischen Ernst. „Der Rest müsste in Ordnung sein.“ Er zeigte auf einen flachen Zementwulst, der auf der anderen Seite die Gasse herunterkommt und entlang der Mauer des Hauses gegenüber verläuft. Dann zückt er sein Handy und spricht mit wichtiger Stimme einige Anweisungen hinein.
Als wir gegen Mittag vom Frühstück zurückkommen, haben sich die Arbeiter ein weiteres Mal vermehrt, nun sitzen drei Männer im Schatten des Mäuerchens, essen Tortillas und sehen hin und wieder mit verlorenem Blick der dunklen Spur des Wassers auf dem Pflaster nach. Der Junge im Overall ist verschwunden. Dafür steht jetzt unser Nachbar im Unterhemd an sein Tor gelehnt und sieht ebenfalls mit leerem Blick zu, wie das Wasser zwischen den Steinen versickert. Als wir ihn grüßen, sieht er kurz auf und murmelt etwas, dann starrt er wieder auf das Pflaster.
Am späten Nachmittag klopft es ans Tor. Als ich öffne, sehen mich vier Augenpaare an.
„Wir sind jetzt fertig, patrón“, sagt der Junge im Overall und zeigt auf eine frische Zementspur zwischen den Pflastersteinen. „Es war komplizierter, als wir gedacht haben, weil die Leitung…“
Während er sich in einer langen Erklärung verliert, nicken die anderen und lassen erschöpft die Lider hängen.
Lulú reicht jedem einzelnen einen kleinen und dem Mann im Overall einen etwas größeren Schein und schaut dabei jedem tief in die Augen. Dazu setzt sie ihr allerdankbarstes Gesicht auf. „Haben Sie vielen Dank, Herr Oberingenieur“, seufzt sie. „Wirklich, vielen, vielen Dank. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätten wir gar nicht gewusst, was wir noch machen sollen. Wir waren schon völlig verzweifelt…“
Als sie das Hoftor hinter uns zuklappt, schneidet Lulú eine Grimasse.
„Schau’n wir mal, ob’s funktioniert. Aber wenn ich denen nichts gebe, kommen die beim nächsten Mal erst gar nicht…“
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Oh yessss, das kenn´ ich doch, die tagelange Warterei, die leeren Blicke und das viele Gerede 🙂
Das gehört wohl zur Poesie des Alltags…
Hallo Jürgen,
Was für eine grandiose Schilderung! Ganz großes Kino, this is Mexico. Ich liege gerade in einer Hängematte und kann nicht mehr vor Lachen…
Hallo Heidi! Und wahrscheinlich siehst du von deiner Hängematte aus GANZ viel Wasser. Aber von da in dein Glas ist es dann doch noch ein verdammt weiter Weg. Viele Grüße an den Strand, ich freue mich auf neue Fotos!